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ISBN-eBook (epub): 978-3-95464-111-6
ISBN der gedruckten Ausgabe: 978-3-95464-087-4
Bildnachweis: Alle Bilder Blick Winkel Fotografie Barbara Waas; außer Vor- und Nachsatz Janine Specht; S. 181 Jessica Weiß; S. 182 oben Ute Rüegg; S. 182 unten Janine Roth; S. 183 oben Cornelia Ellerbrock; S. 183 unten Sandra Sielaff; S. 189 links Jill Langer; S. 215 Uschi Ohngemach; S. 218 u. 219 Privat
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Die
Körpersprache
der Hunde
Wie Hunde uns ihre Welt erklären
Kynos Verlag
Einleitung
Wenn Hunde uns ihre Welt erklären …
Kapitel 1
Die Körpersprache von Hunden in ihrem stammesgeschichtlichen Zusammenhang
Das wölfische Erbe: Zur Entstehung des Hundes
Weshalb keine Zähmung des Wolfes stattfand
Genetische Grundlagen für das Kommunikationsrepertoire
Kapitel 2
Was wir über die Sprache der Hunde wissen sollten
Eskalationsstufen beim Ausdrucksverhalten von Hunden
Wie Hunde ihr differenziertes Kommunikationsrepertoire erlernen
Das Ausdrucksverhalten von Hunden
Kapitel 3
Von Wölfen und Hunden im Kommunikationsprozess lernen
Lernen von Kaniden: Was bedeutet dies für uns im Umgang mit Hunden?
Kapitel 4
Normalverhalten: Die biologischen Funktionskreise
Biologische Funktionen und verhaltensgebende Elemente im Überblick
Kapitel 5
Neuropsychologie: Das Zusammenspiel zwischen Gehirn, Verhalten und Körpersprache
Was die Welt und Wahrnehmung der Hunde beeinflusst und ihr Verhalten steuert
Wahrnehmung und Kognitionsleistungen von Hunden
Normalverhalten: Zusammenspiel von angeborenem und erworbenem Verhalten
Neuropsychologie: Beziehung zwischen Nervensystem und Verhalten
Hohe Übereinstimmung im Gehirnaufbau zwischen Mensch und Hund
Aufbau des Hundegehirns
Gemeinsame Reaktionsmuster von Mensch und Hund
Welche Möglichkeit haben wir als Hundehalter, wenn Stress oder Angst dominieren?
Kapitel 6
Wie das Hundegehirn Informationen überträgt und verarbeitet
Das Prinzip der Spiegelzellen (Spiegelneuronen)
Informationsübertragung über Neurotransmitter
Wie Botenstoffe die Körpersprache von Hunden beeinflussen
Was tun bei Serotoninmangel?
Zusammenspiel von Neurotransmittern
Stress bei Hunden: Bedeutung aus Sicht der Neurophysiologie
Die Bedeutung der Neuropsychologie für Stress, Emotionen, Interaktionen und Stimmungsübertragungen
Stressfaktoren, Emotionen und Körpersprache
Stressabbau und neuropsychologisches Management für Hundehalter
Kapitel 7
Grundlagen der Kommunikationswissenschaft: Kommunikationssysteme und Informationsübertragung zwischen Lebewesen
Kommunikation und Wahrnehmung
Hunde verfügen über eine Magnetfeldwahrnehmung
Die Körpersprache des Hundes in verhaltensbiologischen Kontexten verstehen
Die Sprache der Hunde in ihrem Kommunikationssystem verstehen
Hundekommunikation erfüllt diverse Aufgaben
Beispiel für einen Kommunikationsablauf zwischen Sendern und Empfängern
Kapitel 8
Dialogpartner Mensch und Hund: Parallelen und Unterschiede
Prägungslernen: Hund und Mensch – ein Vergleich
Die differenzierte und klare Sprache der Hunde
Menschen- und Hundekommunikation im Vergleich: Das „Wort“ der Hunde gilt!
Artübergreifende Kommunikation: Mensch trifft im Dialog auf Kommunikationspartner Hund
Unterschiedliches Dominanzverständnis bei Mensch und Hund
Emotionen bei Mensch und Hund
Zielklarheit und Zielkonflikte bei Menschen und Hunden
Grundsätzliches zur Kommunikationspsychologie von Mensch und Hund
Kapitel 9
Hundesprache und ihre verschiedenen Ebenen
Ausdruckverhalten stets im situativen Kontext deuten
Kapitel 10
Phänomene: Interaktion und Stimmungsübertragung
Unkontrolliertes Verhalten kann alles zerstören
Kapitel 11
Agonistik: Kampf-, Droh- und Fluchtverhalten von Hunden
Aggressionsverhalten bei Hunden
Drohen, Drohverhalten
Konfliktreaktionen zeitnah erkennen
Calming Signals oder Beschwichtigungssignale
Kritik
Unterwerfungsverhalten (submissives Verhalten)
Das Imponieren
Das Fluchtverhalten
Kapitel 12
Angst- und Stressverhalten
Ausdrucksverhalten – Abbildung neurobiologischer Prozesse
Auswirkungen von Furcht und Angst
Bedeutung psychobiologischer Elemente für das Hundeverhalten
Was tun, wenn Hunde unter Stress leiden?
Formen von Angst und Stress, die Hunde nicht mehr bewältigen können
„Erlernte Hilflosigkeit“ als Sonderform von Angst und Depression
Kapitel 13
Bedeutung und Ausdruck des Dominanzverhaltens von Hunden und Wölfen
Menschliches Dominanzverständnis darf nicht übertragen werden
Grundsätzliches zum Dominanzverhalten von Hunden
Dominanzmerkmale und Dominanzinteraktionen
Formen des Dominanzverhaltens
Dominanz-Interaktionen in Wolfsrudeln
Die sechs Basis-Eskalationsstufen
Dominanzverhalten unter Wölfen
Dominanzverhalten unter Hunden
Kapitel 14
Das Spielverhalten von Hunden
Funktionen des Spielverhaltens
Spielen und Spielaufforderungen
„Relaxed Open Mouth Display“
Kapitel 15
Formen des Lächelns bei Hunden
Stammesgeschichtliche Entwicklung des Lächelns bei Hunden
Zum Verständnis des Lächelns von Hunden und Wölfen
Submissive Grin
Lächeln als Zeichen freudiger Erregung
Kapitel 16
Weltsprache Hündisch – Übersicht zum Ausdrucksverhalten der Hunde
Über die Autorin
Literaturverzeichnis
Wenn Hunde uns ihre Welt über ihre Körpersprache erklären, dann handelt es sich keinesfalls nur um zufällige Signalabfolgen. Meist wird unterschätzt, wie differenziert Hunde „sprechen“ und welch vielfältige Faktoren dabei eine Rolle spielen, damit Ausdrucksverhalten überhaupt entstehen kann.
Hunde sind in ihren Mitteilungen stets präzise. Ihre Körpersprache entsteht aus vielfältigsten Zusammenhängen sowie aus verhaltensgebenden Faktoren, die sich wie bei einem Uhrwerk ineinander verzahnen. Diese Abläufe spiegeln zudem die individuelle Hundepersönlichkeit mit ihrer ganz eigenen bisher abgelaufenen Lebensgeschichte wieder.
Hunde sprechen auch immer situationsbezogen vor dem Hintergrund des jeweiligen Kontextes. Faszinierend dabei ist, wie klar und eindeutig ihre Kommunikation ist, sofern wir uns mit ihrer Verhaltensbiologie und ihrem Kommunikationsrepertoire näher beschäftigen.
Das gelingt uns am besten über einen Perspektivwechsel, indem wir Hundesprache, also Körpersprache und Vokalisation und welche Funktionen diese jeweils erfüllen, aus Sicht der Hunde begreifen.
Als Dialogpartner von Hunden qualifizieren wir uns dann besonders, wenn wir verhaltensbiologische, psychologische sowie auch neuropsychologische Aspekte mit berücksichtigen.
Wichtig dabei zu verstehen ist: Das Ausdrucksverhalten von Hunden kann niemals nur über ein einzelnes Signal allein gedeutet werden, sondern ist stets im Kontext mit der gesamten Körpersprache und unter Berücksichtigung des Vorgeschehens zu dekodieren. Ferner sind Individualentwicklung und Persönlichkeitsstruktur des Hundes zu berücksichtigen. Häufig aber bleiben diese Zusammenhänge unberücksichtigt und es wird sogar versucht, ein einzelnes Signal – losgelöst aus dem jeweiligen Kontext – zu interpretieren. Häufig auch noch fehlerhaft, wie z. B. beim Schwanzwedeln etwa mit der Standardauslegung „Aha, der Hund freut sich!“.
Schnell wird deutlich, wie wichtig eine vertiefte und differenzierte Auseinandersetzung mit der Kommunikation von Hunden in der fachlichen Gesamtschau ist. Denn wie oft wird über ein mangelndes Verständnis von Hundekommunikation das Hunde-Verhalten sogar als unverständlich oder unsinnig abgetan! Nicht selten mit Kommentaren wie z. B. “Der Hund hat wieder seine Macken.“ Damit werden tiefere Zusammenhänge erst gar nicht erforscht, vor allem aber nicht begriffen.
Hinzu kommt, dass Hunde ihr differenziertes Ausdrucksverhalten in Bruchteilen von Sekunden variieren können und die Körpersprache der Hunde für das menschliche Auge nur ausschnittsweise erfassbar ist. Um dies an einem Beispiel zu verdeutlichen: Wölfe verfügen allein im Kopfbereich über etwa 60 Ausdruckssignale, die sich über die mimische Kommunikation über 11 Ebenen im Kopfbereich verteilen, gleichzeitig aberje nach Signalabfolge – in ihrer Bedeutung zu Hunderten von Signaleinheiten gebündelt werden können! Dies selbstverständlich simultan zu allen anderen körpersprachlichen Ausdrucksformen, die Hunde besitzen.
Auch wenn Hunde nicht mehr über alle wölfischen Signale verfügen – ohne Technik mit „Slow-Motion“ sind für uns auch 43 Ausdruckssignale im Kopfbereich eines Alaskan Malamutes nicht annähernd erfassbar.
Dieser sichtbare Teil der hundlichen Kommunikation ist allerdings für uns nur die visuelle Ausdrucksseite, die wir erleben können. Dahinter stehen weit komplexere Zusammenhänge, die Hundesprache und Hundeverhalten ausmachen. Eine der faszinierenden Fragen dabei ist: Was geschieht „im Kopf“ von Hunden? Wie nähern wir uns dieser unsichtbaren Welt? Und damit sind wir bei der Neuropsychologie. Hierbei handelt es sich um die interdisziplinäre Wissenschaft von Neurobiologie und Psychologie. Auch diesem hochkomplexen Thema widmet das vorliegende Buch ein ausführliches Kapitel.
Ebenso geht es in diesem Buch darum, Hundekommunikation und Hundeverhalten in ihren stammesgeschichtlichen Zusammenhängen auf die Spur zu kommen.
Wer Hunde verstehen will, sollte zunächst auch Wölfe und Wolfsverhalten verstehen lernen und sich mit der stammesgeschichtlichen Entwicklung der Kaniden (Hunde- und Wolfsartigen) auseinandersetzen. Es gilt, Fragen nachzugehen, wie es zur Entstehung des Hundes kam, weit vor Beginn der Domestikation durch den Menschen. Oder: “Was ist hundliches Normalverhalten und was nicht? “
Auch der bereits angesprochene Zusammenhang zwischen Gehirn und Verhalten von Hunden ist unerlässlich, wenn wir verstehen wollen, weshalb Hunde unter Stress und Angst nichts lernen können – abgesehen davon, dass sie bei der Ausschüttung von Stresshormonen fast immer ein „unerwünschtes Verhalten“ zeigen.
Auch die Frage “Welche Rolle spielt der jeweilige Kommunikationspartner Mensch bei Kommunikationsabläufen des Hundes, bei Interaktionen oder bei der artübergreifenden Kommunikation?“ soll näher betrachtet werden.
Um das Ausdrucksverhalten von Hunden genauer zu verstehen, sind auch das ureigene Verhaltensinventar, welches jeder Hund besitzt, ebenso wie seine Individualentwicklung von großer Bedeutung.
Wer also Körpersprache und Verhalten eines Hundes in einem speziellen Kontext richtig deuten will, benötigt auch Kenntnisse darüber, was Hunde treibt, was sie motiviert oder wie sie in ihrer Hundefamilie geprägt wurden.
All diese Zusammenhänge, dazu gehören auch Lernerfahrungen, machen die „Welt im Kopf eines Hundes“ aus, die ganz maßgeblich sein Verhalten über das sichtbare Ausdrucksverhalten steuern.
Wollen wir uns der unsichtbaren Welt in ihren Köpfen nähern und ihre Sprache begreifen, müssen auch die Unterschiede zwischen ihrer und unserer menschlichen Kommunikation und Prägung ergründet und verstanden werden.
Denn die Welt und Wahrnehmung von Hunden ist ein ganzes eigenes Universum!
Wollen wir die Körpersprache von Hunden differenziert verstehen, so ist zunächst die stammesgeschichtliche Entwicklung des Hundes zu betrachten. Denn Hunde besitzen über ihr wölfisches Erbe ein hochdifferenziertes Repertoire an Ausdruckssignalen. Die enorme Vielfalt und Komplexität der wölfischen Körpersprache ist weitgehend, wenn auch nicht vollständig, bei Hunden erhalten geblieben. Wenn wir uns vorstellen, dass die Mimik der Wölfe allein im Kopfbereich auf 11 Ebenen über 60 Ausdruckszeichen umfasst und diese je nach Reihenfolge und Bündelung zu Hunderten von Signaleinheiten angeordnet werden können, so handelt es sich hierbei um eine Dimension, bei der unsere menschlichen Sinne und Wahrnehmungsmöglichkeiten restlos überfordert sind.
Nur ausschnittsweise und nur mit Hilfe von Technik sind wir als Menschen in der Lage, der Wolfssprache konkreter zu folgen. Hinzu kommt eine enorme Geschwindigkeit bei den Signalabfolgen, die meist in Bruchteilen von Sekunden wechselt.
Selbst wenn Hunde nicht mehr vollumfänglich über das Ausdrucks-Repertoire der Wölfe verfügen, gilt das Vorgesagte weitgehend auch bei Hunden hinsichtlich unserer „Sprachwahrnehmung“. Auch hier kann das menschliche Auge ohne Technik nur Teilausschnitte dekodieren.
Wissenschaftlich belegt ist, dass alle Hunde vom Wolf beziehungsweise von seinen wölfischen Unterarten abstammen. Dabei geht die aktuelle Forschung (nach der mitochondrialen DNA-Methode) von dreizehn lebenden und zwei ausgestorbenen Unterarten des Wolfes aus.
Die Genetik von Hunden zeigt eine hohe Übereinstimmung mit der von Wölfen, variiert aber dennoch je nach Rasse und Zuchtselektion erheblich. So besteht genetisch eine hohe Varianz unter den verschiedenen Hunderassen, wie z. B. zwischen einem Tschechoslowakischen Wolfshund oder einem Saarlooswolfhund, die dem Wolf genetisch sehr viel näher kommen als etwa ein Chihuahua. Genetiker beginnen aber erst langsam diese Vielfalt von Erbanlagen bei Hunderassen zu verstehen.
Diese stehen in wesentlichem Zusammenhang mit Verhalten, Ausdrucksverhalten, Fellfarben, Lebenserwartung oder besonderer Lernfähigkeit wie zum Beispiel beim Border Collie, aber auch mit Krankheiten wie Epilepsie, Taubheit oder Herzerkrankungen. Wieviel Wolf in einem Hund steckt, hängt von vielen komplexen genetischen Mechanismen ab. Säugetiergenetiker versuchen inzwischen zu klären, welche Gene diverse Krankheiten von Rassehunden mit verursachen können.
Hunde sind Nachfahren der Wölfe und entwickelten sich als selbständige neue Art in einer ökologischen Nische. Dabei entstanden zahlreiche Hunderassen unter dem Druck evolutionärer Anpassung (wie er etwa durch verschiedene klimatische Bedingungen entsteht), aber ebenso durch Verpaarung verschiedenster Rassen sowie durch Rassezucht. Genetische Unterschiede zwischen Hunden und Wölfen sind unter anderem im Verhalten oder im Verdauungstrakt festzustellen, denn für die Entstehung des Hundes waren besondere Voraussetzungen wie Zutraulichkeit, geringe Neigung zur Aggressivität, eine geringe Fluchtdistanz und die Umstellung vom Jagen auf die Futterversorgung im menschlichen Umfeld erforderlich. Auch die Fähigkeit, Stärke zu verdauen, war dabei eine wichtige Voraussetzung, denn Gerichte mit Getreide standen häufig auf dem Speiseplan der Menschen, nachdem diese ihr Nomadendasein aufgegeben hatten.
Die lange Entwicklung vom Wolf zum Hund hat etwa 135.000 Jahre gedauert.
Alles begann zunächst mit der Habituation, also der Gewöhnung und dem Anschluss an uns Menschen und einem sehr langen Prozess des gegenseitigen Kennenlernens von Wölfen und Menschen. Diese Zeitspanne wird mit etwa 100.000 Jahren veranlagt.
Anfangs schlossen sich weniger scheue Wölfe uns Menschen an, indem sie in der Nähe menschlicher Behausungen lebten und Menschen sehr genau beobachteten. Nach und nach lernten sie, dort auch ohne eigenes Jagen zu überleben. Eine Selektion nach Zahmheit und Zutraulichkeit der Wölfe hatte begonnen. Es war zugleich die Grundvoraussetzung für das Zusammenleben mit Menschen und wurde später zum entscheidenden Merkmal unserer Haushunde. Dieser sehr lange Anpassungs- und Beobachtungsprozess führte auch dazu, dass keine andere Art uns Menschen so gut versteht wie unsere Hunde und dies zudem mit einzigartigen kommunikativen Voraussetzungen.
Nach der Habituationsphase von Wölfen an uns Menschen folgte die Domestikationsphase, in der allmählich der Hund als neue Art entstand: Das älteste Haustier des Menschen. Diese Phase wird je nach wissenschaftlicher Hypothese mit einem Zeitraum zwischen 12.000 und 20.000 Jahren angeben.
Theorien, dass Menschen vor etwa 15.000 Jahren begannen, Wölfe zu zähmen, indem sie wilde Wolfswelpen von Hand aufzogen und auch deren Nachkommen wiederum zähmten, sind wissenschaftlich eindeutig widerlegt (siehe Ray und Lorna Coppinger, Hunde: Neue Erkenntnisse über Herkunft, Verhalten und Evolution der Kaniden, 2003, sowie die Arbeiten des russischen Genetikers D.K. Belyaev).
Grundlegende Voraussetzungen wie Zutraulichkeit und Zahmheit einzelner Wölfe waren zunächst die essenzielle Grundlage dafür, dass sich überhaupt mit der Zeit zwei Wolfspopulationen ergaben: Einmal die Gruppe der menschenzugewandten Wölfe und zum anderen die Gruppe der Wölfe, die wie bisher als Wildtiere lebten. Grundsätzlich sind und bleiben Wölfe aber Wildtiere. Auch wenn sie als Jungtiere handaufgezogen werden, so zeigen sie mit der Geschlechtstreife eindeutig Wildtierverhalten, mit allen Gesetzen von Wolfsverhalten.
Hervorzuheben ist: Die Annäherungsphase zwischen Wolf und Mensch verlief in kleinsten Etappen und sie dauerte über Jahrzehntausende!
Beide Arten lernten sich über Beobachtung und Erfahrungen immer besser kennen. Dabei änderte sich das Wolfsverhalten auch hinsichtlich der Jagd, da Wölfe nunmehr wussten, wie sie in der Nähe und direkten Umgebung menschlicher Siedlungen auch ohne zu jagen überleben konnten.
Hin und wieder wurden sicherlich auch verwaiste Wolfswelpen von Menschen in deren Siedlungen aufgezogen. Dort konnten sie nur überleben, wenn sie als Spielgefährten für Menschenkinder geeignet waren. Diese Jungwölfe mussten dafür unbedingt zutraulich und sozialverträglich sein.
Dem Steinzeitmenschen fehlten sämtliche heutige wissenschaftliche Kenntnisse und Möglichkeiten, um Wölfe zu selektieren und zutrauliche Wölfe untereinander zu verpaaren. Wölfe mit geringer Fluchtneigung hätten zunächst von Steinzeitmenschen als solche identifiziert und dann in eingezäunten Gehege gebracht werden müssen, um dort eventuell Nachwuchs zur Welt zu bringen. In der Folge hätte das über unzählige Wolfsgenerationen immer wieder auch mit deren Nachwuchs wiederholt werden müssen. Somit scheidet die These von der Zähmung des Wolfes grundsätzlich aus.
Der Hund hat sich als neue Art selbst über eine Vielzahl von Anpassungsprozessen in der Umgebung von Menschen entwickelt. Dieser komplizierte Prozess wurde zudem erst durch genetische Anpassung an die neuen Lebenskontexte möglich.
Bei Wölfen und Hunden ist es faktisch so, dass es sich am Ende eines sehr langen Entwicklungsprozesses um zwei verschiedene Arten handelt. Denn der Hund ist eine eigenständige neue Art.
Weshalb es sich um zwei verschiedene Arten handelt, soll an folgenden Beispielen weiter verdeutlicht werden:
1.Wölfe eignen sich nicht zum Wachen oder zum Hüten! Das Bellverhalten von Wölfen ist den Lebensbedingungen in der freien Wildbahn angepasst und eher spärlich.
2.Wölfe jagen gemeinsam in ihrem Rudel. Sie haben auch keinerlei Interesse, mit Menschen zu jagen oder zu kooperieren!
3.Eine gemeinsame Jagd von Mensch und Wolf, so wie zwischen Mensch und Hund, ist nicht möglich: Denn einem adulten Wolf die Beute wegnehmen zu wollen, ist keine empfehlenswerte Strategie!
4Auch das Lernverhalten von Wölfen kann keinesfalls mit dem Lernen von Hunden verglichen werden! Selbst Gehege-Wölfe lassen sich nicht „abrichten“.
5.Wolf und Mensch waren damals eher Feinde beziehungsweise Nahrungskonkurrenten. Und Wölfe scheuen vielmehr Menschen.
Hunde konnten nur deshalb als neue Art im menschlichen Umfeld entstehen, weil sie gelernt hatten, Verhalten und Körpersprache von Menschen über einen sehr langen Beobachtungszeitraum immer besser deuten zu lernen und weil sie die Fähigkeit entwickelten, darauf sinnvoll zu reagieren. Das Ergebnis dieser langen Co-Evolution von Mensch und Hund ist ein einzigartiges Verstehen beider Arten, höchstwahrscheinlich sogar mit gegenseitiger genetischer Beeinflussung. So können Hunde auch die Körpersprache ihnen fremder Menschen richtig deuten. Mit dieser Entwicklung geht sicherlich auch einher, dass Hunde die Zahl ihrer mimischen Kommunikationssignale gegenüber Wölfen reduziert haben: Sie mussten nicht mehr den hohen Ansprüchen genügen, die das Leben in freier Wildbahn an sie stellt. Vielmehr wurde stattdessen die richtige Deutung menschlicher Kommunikation für sie wichtig. Hinzu kommt, dass das vorhandende differenzierte Ausdrucksverhalten von Haushunden aufgrund seiner Ablaufgeschwindigkeit und zudem wegen fehlender „Sprach-Kenntnisse“ nur zum Bruchteil von Menschen richtig gelesen wird. Anders gesagt:
Als Anpassungsprozess könnten Hunde ihre Kommunikation vereinfacht haben, damit wir sie besser verstehen. Interessant zu beobachten ist, dass Hunde zuweilen manche Signale gegenüber Artgenossen und Menschen sogar übertreiben, um Kommunikationsmissverständnisse zu vermeiden.
Das Kommunikationsrepertoire von Hunden ist in seinen wesentlichen Grundlagen genetisch verankert, und zwar weltweit! Das führt dazu, dass „Hündisch“ Weltsprache ist. So kann ein Hund aus Kanada bei Einreise in die Schweiz mühelos die Sprache eines Berner Sennenhunds verstehen! Oder ein Kangal versteht das, was ihm ein Deutscher Schäferhund gerade mitteilen möchte.
Neben den genetischen Grundlagen, die Hunde allesamt besitzen, ist das Erlernen der praxisorientierten Feinabstimmung des Kommunikationsrepertoires mit wesentlichen Grundregeln für die Welpen eine wichtige Lebensschule. Als erstes lernen Welpen zwei Dinge:
1.Keine Distanzunterschreitungen zu begehen
2.Bei Aufforderung durch andere Hunde Abstand zu halten und gesetzte Grenzen zu respektieren
Im spielerischen Dialog mit den älteren Hunden testen die Kleinen immer wieder ihre Grenzen aus. Alles verläuft im Spiel – auch die Korrekturen durch die älteren Hunde. Die Welpen lernen, gesetzte Grenzen mit respektgebenden Gesten zu beantworten. So testen die Kleinen unermüdlich Kommunikationsverhalten und Kommunikationsstrategien aus, die Kommunikation wird fortwährend praxisorientiert gelernt. Dies ist für das weitere Leben der Hunde enorm wichtig, da es ihnen die notwendige Sicherheit gibt und ihnen die Fähigkeit vermittelt, Konflikte kommunikativ zu lösen. Werden Welpen aus dieser für sie so wichtigen Lebensschule herausgerissen, indem sie zum Beispiel zu früh vom Züchter verkauft werden, ist dies ein unverantwortlicher Eingriff. Diese Hunde zeigen oft ein Leben lang Umweltunsicherheit oder weisen aufgrund einer unzureichenden Sozialisierung in der Hundefamilie später sehr viel häufiger Verhaltensauffälligkeiten auf als Hunde mit einem abgeschlossen Lernprogramm hinsichtlich der Hundekommunikation.
Wolfs- und Hundeeltern erziehen ihren Nachwuchs konsequent, gewaltfrei, liebevoll und spielerisch!
Daran sollten wir uns auch als Menschen halten, wenn wir Hunde übernehmen und versuchen, sie in unsere Welt zu integrieren und sie dafür zu sozialisieren. Hunde verstehen keine menschliche Gewalt und keine Distanzunterschreitungen, ob diese nun von Menschen oder Hunden gezeigt werden. Distanzunterschreitungen sind Grenzverletzungen! Sie stellen für Hunde stets einen Affront beziehungsweise ein Konfliktpotenzial dar. Gerade als Menschen, die wir so gerne Grenzen überschreiten und damit aus Hundesicht „übergriffig“ werden, sollten uns diesen Zusammenhang immer wieder vor Augen halten. Berücksichtigen wir diese Regeln nicht, werden Hunde uns mitteilen: „Halte Abstand!“ oder “Komm nicht näher“! Wird ihr mangelndes Einverständnis von uns Menschen dennoch ignoriert, sind Konflikte fast immer vorprogrammiert. Falls wir von Hunden gesetzte Grenzen immer wieder ignorieren, so ist für Hunde klar: Weder beherrschen wir aus Hundesicht die „Weltsprache Hündisch“, noch haben wir „Manieren“. Kommt dann noch menschliche Gewalt hinzu, so wissen Hunde, dass uns auch sämtliche pädagogischen Kenntnisse fehlen! Gewalt gegenüber Hunden ist nicht nur tierschutzrelevant, sondern zeigt nur allzu deutlich, dass es an Wissen und Gewissen leider fehlt!