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eBook-Ausgabe der Printversion

 

ISBN-eBook: 978-3-95464-051-5

ISBN der gedruckten Ausgabe: 978-3-95464-039-3

 

Bildnachweis: Alle Fotos und Grafiken Prof. Ekard und Helenira Lind außer

S. 18 zweites von rechts unten: Michael F. Schöniker

S. 18 rechts unten: Wikimedia/ Jastrow

S. 18 links unten: Bibi-Saint-Pol

S. 18 zweites von links unten: Bibi-Saint-Pol

S. 69: www.britannica.com

S. 98: Wikipedia/ Elsevier Publishing Company

S. 100: Wikipedia

S. 130: Wikipedia/silly rabbit

S. 177: geocities.ws

 

 

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Ekard Lind

Lerngesetze

verstehen und anwenden

in Alltag, Arbeit und Sport mit dem Hund

Logo

Meiner Frau Helenira Lind gewidmet

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Was ist Lernen?

1.Mensch und Hund

Über die Seele des Hundes

Hunde sind uns ähnlich – und anders!

Das Weltbild des Beseelten

Tastsinn

Thermoregulation

Sehvermögen

Geruchssinn

Hörsinn

Geschmacksinn

Reaktionsfähigkeit und Schnelligkeit

Hunde lernen anders

2.Neurobiologie des Lernens

Das Gehirn

Die Evolution des Gehirns

Riechen und Sehen

Neuronen, Synapsen und Gliazellen

Leistung des Gehirns

Das Bauchgehirn und das Mikrobiom

Lernen als Informationsverarbeitung

Signalübertragung – Repräsentationen

Das Limbische System

Gedächtnis

Arbeitsgedächtnis

Langzeitgedächtnis

Was passiert im Schlaf?

Vergessen

Vergessen im Langzeitspeicher

Gedächtnis: Zusammenfassung

Handlungsorientiertes Lernen - Lerntypentheorie

3.Lernforschung

Lernforschung im Überblick

Lernen aus verschiedenen Blickwinkeln

4.Lernformen (nicht assoziative)

Lerndisposition

Habituation, Sensitivierung und Dishabituation

Prägung

5.Die vier großen Lerntheorien

Theorie der Konditionierung

Instrumentelle Konditionierung

Edward Lee Thorndike

Verhalten als Werkzeug – Trial-and-Error

Instrumentelle Konditionierung in der Praxis

Klassische Konditionierung

Iwan Petrowitsch Pawlow

Reflexe, Reize, Reaktionen

Kontingenz

Kontiguität

Wiederholung

Löschung und Erholung

Konditionierung höherer Ordnung

Klassisch konditioniertes Signallernen

Gegenkonditionierung

Übergang zum Behaviorismus – Watson und Guthrie

Guthries Pferde- und Hundebeispiele

Operante Konditionierung

Burrhus Frederic Skinner

Operante Konditionierung

“Belohnung“ und “Bestrafung”

Positive und negative Verstärkung

Positive und negative Bestrafung

Primäre und sekundäre Verstärker

Zeitliche Koppelungs-Varianten

Verstärkerpläne

Kritik an Bestrafung und Belohnung

Kritik am Behaviorismus

Kritik an positiver und negativer Bestrafung:

Kritik an Belohnung

Kognitive Lerntheorien

Gestaltpsychologie (Ganzheitstheorie)

Wende zu kognitiven Lerntheorien

Kognitionsleistungen bei Tieren

Beobachtung und Nachahmung

Anmerkungen zur Sprache

Albert Banduras „Lernen am Modell“

Einfluss auf die Pädagogische Psychologie

Lernformen (assoziative)

Diskrimination und Generalisation

Vermeidungsverhalten – abergläubisches Verhalten

Generalisationslernen

Hinweisreize – Marker – Brückensignale

Aufbau einer Signalkontrolle

6.Kognitive Fähigkeiten des Hundes

Gedächtnis

Zeitgefühl

Mengenunterscheidung

Objektpermanenz

Umweg-Versuche

Hunde lernen von Artgenossen

Unterscheidung

Wie verstehen Hunde unsere Worte?

Hunde „lesen“ und imitieren Menschen

Blickkontakt

“Do as I do”- Experiment

Sozialer Einfluss des Menschen

Aus Fehlern lernen?

Wissen über sich selbst und über andere

7.Emotion

Lernhemmnisse Stress und Angst

Modell der emotionalen Trägheit

Methode: Stimmungsmodifikation

Einstimmen – Start- und Abschluss-Ritual

Methode: Punktuelle Korrektur

Methode: Memory Refresh

8.Motivation

Intrinsische und extrinsische Motivation

Die sieben klassischen Motivationsquellen

Grundausrüstung und Hilfsmittel

Futter, Spielzeug und andere Lockmittel

Motivationsobjekt

Ansprechsegmente

Intensität und Ausbildung

Eignung für interaktives Spiel

1. Ball

2. Beißwurst

Balljunkie

Wege aus der Sucht

Abgeben und Auslassen der Beute

Fehler vermeiden, zulassen oder korrigieren

9.Lernformen und Methoden

Clickertraining

Impulskontrolle

„Geistiger Zügel“

Shaping (schrittweise Annäherung)

Selbstverstärkung und Free-Shaping

Chaining (Verkettung)

Token-Konditionierung

Premack-Prinzip

Leitwirkungen und Targets

Reizüberschattung und Reizkombination

Kontingenz – Blocking

Flooding und Implosion

Individuelles, komplexes Coaching

10.Was Lernen beeinflusst

Lernkurven

Lernzuwachs

Gedächtnishemmungen – Lernhindernisse

Vergessenskurven, Lern- und Behaltensstrategien

Wozu Vergessen gut ist

Lernen im Hinblick auf Behalten

Resonanz-Modell

Nachwirkzeit

Strategien gegen Vergessen

Gutmann–Modell

Behalten und Vergessen bei Hunden

Wiederholen und Üben

Pausen

Wissen und Können

Anspruchsniveau

Lern- und Trainingsrituale

Warm up – Cool down

Einstimmen - Start - Abschluss

Methode: Ideal - Moment

Absichern

Ausblick – Schlusswort

Anhang

Vorwort

Das vorliegende Buch wurde für Hundebesitzer geschrieben, die mehr über Lernen erfahren möchten als nur das Notwendigste. Es richtet sich an diejenigen, die Lerngesetze verstehen und anwenden möchten und weder Zeit noch Möglichkeit haben, den in der umfangreichen Fachliteratur verstreuten Stoff selbst aufzuarbeiten. Eines der Ziele bestand daher in einer gründlichen, aber komprimierten Darstellung des aktuellen Wissensstandes, und zwar im Hinblick auf Mensch und Hund. Und es war wichtig, die zahlreichen, immer noch kursierenden falschen Vorstellungen über Lernen anzuführen und zu korrigieren.

Neben dem Bildungswert zeichnet sich das vorliegende Fachbuch durch umfangreichen Praxisbezug aus. Zahlreiche Beispiele aus Alltag, Arbeit und Sport machen Hundeverhalten verständlich und öffnen den Blick für die Möglichkeiten einer ethisch fundierten, erfolgreichen und zeitgemäßen Einflussnahme. Theorie- und Praxisbeispiele, bereichert durch Beiträge des Autors, können den Leser dem Ziel einer ethisch und ethologisch ausgerichteten Mensch-Hund-Beziehung näherbringen.

Sich mit Lernen – mit dem des Hundes und mit dem des Menschen – zu befassen, verspricht neben besserem Hundeverständnis und besseren Übungsergebnissen eine umfassende Bereicherung und Veränderung der eigenen Persönlichkeit. Zugegeben, die Materie ist umfangreich. Aber genau darin liegt der Reiz: Es gibt ungeahnt viele Möglichkeiten der Verhaltensbeeinflussung; und die Beschäftigung mit Lernen, den Theorien, Gesetzen, Modellen und Methoden setzt Neugier, Spannung und Motivation frei. Umso mehr, wenn nicht nur isoliertes Fachwissen, sondern gleichermaßen dessen praktische Umsetzung im Vordergrund steht.

Der Autor will nicht nur über das Lernen schreiben, sondern er will vor dem Hintergrund einer langjährigen Erfahrung als Hochschul-, Kinder- und Tiertrainer-Pädagoge auch das Lernen des Lesers fördern. Daher stehen neben solidem Fachwissen zahlreiche, interessante Zusammenhänge, kritische Anmerkungen, übergreifende Vergleiche, und vieles, was man über Lernen immer schon wissen wollte. Daher ist der Stoff nicht auf Hunde begrenzt, sondern es werden auch Verbindungen zu anderen intelligenten Tieren gezogen. Dies alles trägt dazu bei, über den “Rand des Hundenapfs” hinauszublicken und Lernen umfassend zu verstehen.

In der modernen Pädagogik bemüht man sich aus mehreren Gründen, dem Stoff Emotionale Etikette anzuheften. Nicht nur, um ihn lebens- und praxisnah darzustellen. Fakten und Formeln merkt man sich leichter, wenn sie emotional „verpackt“ wurden. Was den ganzen Menschen anspricht, vermittelt Lebensnähe und verspricht Anwendbarkeit. Und es motiviert! So kann Lernen hautnah erlebt, verinnerlicht und besser behalten werden.

Ein weiteres Anliegen besteht darin, die zahlreichen unterschiedlichen Begriffe, die einem in der Literatur für ein- und dieselbe Sache begegnen, aufzuführen. Wo erforderlich, wurden diese differenziert, um damit ein wenig Licht in den Begriffsdschungel zu bringen. Dasselbe gilt für unterschiedliche, aber gleichbedeutende Kürzel.

Lernen bedeutet nicht nur, dem Hund etwas beizubringen, – möglichst erfolgreich; – mit anderen Worten, – ihn zu konditionieren. Ebenso wichtig ist es, ungewollte Konditionierungen vorauszusehen, zu erkennen und entsprechende Maßnahmen einzuleiten, um sie zu vermeiden; oder, falls schon passiert, sie zu entschärfen.

Sich mit Lernen zu beschäftigen heißt auch, die Grenzen der verschiedenen Theorien kennen zu lernen, ihr Ineinandergreifen zu verstehen und die sklavische Zuordnung in „klassische“ und operante Konditionierung“ als realitätsfremde Hypothese zu entlarven.

Theorie und Praxis dieses Buches führen den Leser schließlich zur Anwendung. Durch wiederholtes, inneres Vorstellen der Beispiele wird man nach und nach feststellen, dass man Lernen in seinen vielen Facetten tatsächlich vorstellen kann. Und von da aus ist es nur noch ein kleiner Schritt, das Gelernte erfolgversprechend selbst anzuwenden, – mit dem eigenen Hund: als Hundebesitzer, Trainer, Sportler oder Therapeut.

Jeder Hundebesitzer verfolgt andere Ziele. Daher kann nicht jeden alles ansprechen. Aber aus den Beispielen in diesem Buch kann sich der Leser das für ihn Wichtige herausnehmen und auf seine ganz persönliche Form der Mensch-Hund-Beziehung übertragen. Und: Die Beispiele laden ein zu kreativer, individueller Umgestaltung.

Noch ein Wort zum Anspruch des Buches: Will man sich die Wissenschaft zunutze machen, kann man sie nicht gleichzeitig nivellieren oder gar übergehen. Das heißt, man kommt nicht umhin, Erkenntnisse wenigstens in groben Zügen nachzuvollziehen. Hierzu dienen populärwissenschaftliche Werke: Bücher, die so geschrieben sind, dass sie ein Leser mit mittlerem Bildungsniveau verstehen kann. Ein leidiges Thema sind hierbei Fremdworte und Fachbegriffe. Es liegt auf der Hand, dass man Begriffe braucht. Erst, wenn für Zusammenhänge treffend bündelnde Worte verfügbar sind, ist der Weg frei für den gedanklichen Umgang bis hin zur Kommunikation und zur praktischen Anwendung. Ob sich der Leser hierbei vereinfachter Worte bedient oder die Fachbegriffe bevorzugt, sei ihm überlassen. Das Buch bietet beide Möglichkeiten. Man braucht und soll die Fachbegriffe aber nicht „pauken“. Die Wiederholung, – aus verschiedenen Blickwinkeln, – bringt mit sich, dass die Worte ganz von selbst einverleibt werden. Fachbegriffe nennt man in der Wissenschaft übrigens terminus bzw. in der Mehrzahl termini (von lat. Terminus technicus = Fachbegriff).

Was der Leser zu seinem Lernerfolg beitragen kann, ist vor allem Geduld. Im „Diagonal-Lesestil“ oder in ein paar Tagen wird man sich den reichhaltigen Stoff kaum aneignen können. Man lasse sich daher Zeit beim Lesen – man stelle sich die Beispiele in Ruhe vor, noch besser, man probiere sie prakisch aus, und man nehme sich nicht zu viel Stoff auf einmal vor!

Zum Umfang: Innere Ablehnung vor viel Lernstoff fußt meistens auf einem fundamentalen Irrtum, und damit sind wir mitten im Thema: Mehr und mehr, Neues und noch mehr Neues zu lernen wird oft mit dem Anfüllen eines begrenzten Gefäßes verglichen. Die Vorstellung, Lernen könnte belastend, zu schwer oder zu viel werden, das Gefäß zu eng oder zu klein, ist jedoch falsch. Je mehr wir lernen, desto leichter und schneller werden wir uns Neues aneignen können. Keine Angst vor “viel”. Die fünfte Fremdsprache führt nicht, wie man vielleicht meinen mag, zu mehr Verwechslung. Das Mehr an Wissen belastet nicht! Es macht frei! Das neu Erworbene kommt uns beim Unterscheiden zu Hilfe. Aber, wie gesagt, alles braucht seine Zeit. Lernen lässt sich nicht erzwingen. Man erinnere sich an den Lehrsatz: Öfter und weniger behält man besser als selten und viel“. – Soviel zum einen Ende an der Leine, dem Menschen. Und nun zur anderen Seite, dem Hund:

Wir neigen zur Vorstellung, der Hund lerne speziell das, was wir ihm vermitteln. Diese Ansicht ist überholt. Der Hund lernt, ähnlich wie wir Menschen, immer! Selbst in der Nacht, im Schlaf, ist das Gehirn aktiv und macht seine “Hausaufgaben”. Und: Hunde lernen ihren angeborenen Lernfähigkeiten (Lerndisposition) entsprechend, und sie lernen, ganz wie wir Menschen, bevorzugt das, was in ihrem Interesse liegt; was sie gerne tun oder sich wünschen. Dies so zu beeinflussen, dass „keiner dem anderen Gewalt antut“ (Schiller), hat der Autor bereits zu Beginn seiner kynologischen Tätigkeit in dem einfachen Bekenntnis gefunden:

„… Worauf es ankommt in der Hundeerziehung ist, die Ziele des Menschen zu Motivationen des Hundes umzugestalten und Aufgaben so zu vermitteln, dass sie der Hund annehmbar und lustvoll erlernen und ausführen kann“ (E. Lind 1997: Vortrag Tierschutztag in der Schweiz)

Prof. Ekard Lind, Februar 2013

Was ist Lernen?

Lernen ist eine der Grundvoraussetzungen für Leben. Dies gilt für Mensch und Tier. Lernen befähigt, sich dem Lebensraum optimal anzupassen, ökologische Nischen zu besetzen und, wo möglich, Einfluss auf die Bedingungen zu nehmen. Arten, die es besonders gut verstanden, den Lebensraum vorteilhaft zu nutzen, gelang es, sich über Jahrmillionen zu behaupten. Haifische oder Krokodile sind jedoch nicht nur Beispiele erfolgreicher Anpassung (Adaption) an ihre Umweltbedingungen. Diese und andere im Wasser oder hybrid (im Wasser und an Land) lebenden Arten profitierten davon, dass sich der Lebensraum Wasser über die Jahrtausende weniger gegensätzlich und spektakulär veränderte wie die Bedingungen an Land.

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Eine fliehende Spielbeute ruft unwillkürlich Nachjagen hervor.

Im Rahmen optimaler Anpassung hat die Natur in langer Zeit zwei biologische Systeme hervorgebracht, die sich beide, jedes auf seine Weise, als höchst effizient erwiesen haben: Verhaltensweisen, die ererbt vorliegen (Erbkoordinaten) und nicht gelernt werden müssen, und Verhaltensweisen, die im Laufe des Lebens entwickelt und angeeignet werden (Adaption). Lebewesen, die über beide Systeme verfügen und diese getrennt und kombiniert einzusetzen vermögen, konnten selbst in unterschiedlichen Lebensräumen und trotz gravierender ökologischer Veränderungen überleben. Einer der profiliertesten Vertreter hierfür ist der Wolf. Auf der einen Seite verfügt er über zahlreiche Erbverhalten, wie beispielsweise das schnelle, automatische Zupacken, andererseits ist er in der Lage, Verhaltensweisen entsprechend abzuändern oder auch neu zu erwerben. Inzwischen wissen wir, dass auch Hunde in der Lage sind, – ähnlich wie Anthropoiden (Menschenaffen), – gemachte Erfahrungen auf neue Situationen zu übertragen, ja sogar neue Handlungen den Bedingungen entsprechend geistig vorauszudenken und ohne zu experimentieren umzusetzen.

Zu den herausragenden Antrieben höherer Lebewesen zählen: Überleben, Fortpflanzung und sozialer Status. Erst die Fähigkeit des Lernens schafft Möglichkeiten für deren erfolgreiche Umsetzung. Darüber hinaus vermittelt Lernen Lust und steigert das Selbstwertgefühl. Ganz zu schweigen von den zahllosen Stimmungen, Affekten und Motivationen, die sich beim Lernen einstellen und dieses bereichern.

Der Begriff Lernen umfasst zwei Bedeutungen: Nachspüren als beabsichtigter (intentionaler) Prozess des Individuums und Spur hinterlassen als das, was Lernen zur Folge hat, beispielsweise in der Form des unabsichtlichen (inzidentellen) Lernens. Tiger, die einmal in eine Falle geraten sind, verändern ihr Verhalten. Aber sie haben diesen Lernprozess nicht beabsichtigt. Nichts desto weniger haben sie Entscheidendes gelernt! Sie meiden fortan Fallen und auch das Terrain, in dem diese Erfahrung gemacht wurde; und dies lebenslang – auf Grund einer einzigen nicht aktiv geplanten und herbeigeführten – Erfahrung; als Folge eines einzigen Lernvorganges. Auch Hunde sind zu beidem fähig, zu unbeabsichtigtem und beabsichtigem Lernen.

Schon in der Antike hat man Vorstellungen über das Lernen gebildet. Der griechische Philosoph Platon (428 v. Chr. – 348 v. Chr.) versteht Lernen als Vergegenwärtigung von Ideen und Vorstellungen, die in der Seele des Menschen bereits vorhanden sind und durch Sinneswahrnehmung wieder in das Bewusstsein gelangen. Aristoteles (384 v. Chr. – 322 v. Chr.) hingegen vergleicht Lernen mit einer tabula rasa (lat. = leerer, abgeräumter Tisch), auf den die Sinneseindrücke aufgelegt werden. Mit modernen Worten wäre der Lernprozess demnach als Speicherung von Daten zu bezeichnen. Diese Betrachtungsweise hat eine lange Tradition bis hin zu den Vertretern der Konditionierungstheorien.

Aus neurobiologischer Sicht beruht menschliches Erleben und Verhalten auf Prozessen der Informationsverarbeitung. Die moderne Gedächtnisforschung geht zunehmend in eine integrative Verständnisrichtung des Lernens, wobei Neurowissenschaft, Pädagogik, Sozialwissenschaft, Lehr-Lern-Forschung sowie Unterrichtspraxis und Schulorganisation immer mehr ineinander greifen. Hierbei erfahren manche pädagogische Altwahrheiten aktuelle, wissenschaftlich begründete Bestätigung. Aber obwohl man inzwischen viel über das lernende Gehirn weiß, sind noch viele Fragen bei weitem nicht erschöpfend beantwortet.

Was gehört alles zum Lernen? Oder: Worauf baut Lernen auf? Was sind die Voraussetzungen, damit Lernen stattfinden kann? Wie sollen wir vorgehen, damit beim Lehren möglichst gut gelernt werden kann? Welche sind die begünstigenden, welche die hinderlichen Faktoren? Welche Möglichkeiten gibt es, wo setzt man was ein und wie lassen sich die verschiedenen Theorien miteinander verbinden? Fragen über Fragen, die es im Verlauf dieses Buches zu beantworten gilt.

Eine fundamentale und zugleich die älteste Ursache für Lernen ist die Entfaltung und Erhaltung des individuellen Lebens und Überlebens. Lernen dient dazu, Nachteile und Gefahren abzuwenden, den äußeren und inneren Zustand (psychosomatische Befindlichkeit) zu verbessern und das Leben nach den individuellen Wünschen und den gegebenen Möglichkeiten bestmöglich zu gestalten. Darüber hinaus ist Lernen lustvoller Selbstzweck. So sollte es zumindest sein.

Im Volksmund heißt es: Man lernt aus Erfahrung. Da fällt einem die heiße Herdplatte ein, die einen lebenslang gültigen Lerninhalt vermittelt. Oder man denkt, wenn es um Lernen geht, an Wissen und Können und an die Fähigkeiten der Erinnerung und des Abrufens. Doch Lernen bedeutet noch mehr. In den folgenden Abschnitten werden wir uns dem „Wunder Lernen“ von verschiedenen Seiten her nähern.

1. Mensch und Hund

Über die Seele des Hundes

Die Mensch-Hund-Beziehung ist vermutlich vierzehn- bis fünfzehntausend Jahre alt. In dieser langen Zeit sind sich beide Spezies erstaunlich nahe gekommen. Die Wertschätzung für den Hund reicht weit zurück. Schon der griechische Philosoph Plato (428 v. Chr. – 348 v. Chr) hält große Stücke auf den Hund, den er als edel und lernwillig bezeichnet.

Auch sein Zeitgenosse, Diogenes von Sinope (um 400 v. Chr. – 324 v. Chr), der wie viele andere Redner als Philosoph in Olympia auftrat, hatte eine hohe Meinung über Hunde. Dies und die Tatsache, dass er ein Bettlerleben führte, so quasi „wie ein Hund“, brachte ihm den Spitznamen Kyon (Hund) ein. Immer wieder nahm er Hunde oder auch deren Verhalten zum Gegenstand seiner Provokationen: Zu Knaben, die Angst vor ihm hatten, sagte er: “Keine Angst, Kinder, ein Hund frisst kein Grünzeug.“ Und als man ihm wie einem Hund einen Knochen zuwarf, pinkelte er wie ein Hund darüber und ging weg.

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Sokrates
469 v. Chr. – 399 v.Chr.

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Platon
427 v. Chr. – 348 v. Chr.

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Diogenes
400 v. Chr. – 324 v. Chr.

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Alexander der Große
356 v. Chr. – 323 v. Chr.

Von Plutarch (45 – 125 n. Chr) stammt die bekannte Überlieferung folgender Begebenheit: Alexander der Große (356 v. Chr. – 323 v. Chr.) trat vor Diogenes, der in einer Tonne lag, und bot ihm die Erfüllung eines Wunsches an. Diogenes sagte: „Geh mir ein wenig aus der Sonne“. Darauf antwortete Alexander: „Wäre ich nicht Alexander, ich wünschte, Diogenes zu sein.“ Diogenes und Alexander sollen der Legende nach am gleichen Tag gestorben sein.

Die von Diogenes gegründete Philosophenschule wurde unter dem Namen Kyniker (Hunde-Denker) bekannt. Der heute noch gekannte Begriff Zyniker hat darin seinen Ursprung. Nun verstehen wir auch die Wortherkunft Kynos und Kynologie. Beides geht auf das griechische Wort „Kyon“ zurück.

Diogenes war ein enfant-terrible (franz. = schreckliches Kind), ein Exzentriker und brillianter Entertainer, der kein Blatt vor den Mund nahm. Im Kern seiner Lehre stand das im ethischen Sinne gut geführte Leben, welches er mehr durch das lebende Beispiel als durch Schriften verbreitete. Auf seinem Grab, das mit einem Hund geschmückt war, stand: „Sag Hund, was bewachst Du in diesem Grabe? – Einen Hund. – Sein Name? – Diogenes“.

Die Beliebtheit der Hunde bei Menschen ist so alt wie die Domestikation und sie ist bis auf den heutigen Tag ungebrochen. Auch die Cheyenne-Indianer verdanken ihren Namen dem Hund (aus dem franz. chien = Hund).

Über die Zeiten hinweg wurden zahllose Hymnen auf den Hund verfasst. Von Johann Wolfgang v. Goethe (1749 – 1832) stammt der Satz: „Dem Hunde, wenn er gut erzogen, wird selbst ein weiser Mann gewogen.“ Und Heinz Rühmann (1902 – 1994) sagte: „Man kann auch ohne Hund leben, aber es lohnt sich nicht.“

Weniger einheitlich wurde die Frage danach, ob und wie viel Verstand oder gar Bewusstsein der Hund habe, beantwortet. Ab der Mitte des 17. Jahrhunderts, mit dem Aufkommen des Rationalismus, begann man unter dem Einfluss des katholischen Klerus den Tieren allgemein die Seele abzusprechen. Da aus damaligem Verständnis Seele und Bewusstsein als untrennbar miteinander verbunden angenommen wurden, konnte der Hund, dem keine Seele zustand, natürlich auch kein Bewusstsein haben. Bei Plato hingegen gelten Menschen und Tiere als beseelte Lebewesen, und auch das alte Testament ist voll von tierethischen Aussprüchen wie: „Der Gerechte erbarmt sich seines Viehs“ und: „Der Gerechte weiß, was sein Vieh braucht“. Auch in Ägypten galten Tiere als geheiligt und es war ein Verbrechen, sie zu misshandeln. Bei Paulus wartet a l l e s Geschaffene sehnsüchtig und unter seinen Leiden stöhnend auf die Befreiung (Röm 8,19-22)

In der nachchristlichen Theologie allerdings wurde der Mensch von seinen Naturbanden „befreit“ und in den Mittelpunkt des Kosmos gestellt (anthropozentrisches Weltbild). Die Leugnung der Wurzeln ebenso wie die Selbstüberhebung hatte verheerende Auswirkungen. Sie führte zur Weltfeindlichkeit des Mittelalters und wirkt noch bis in unsere Zeit. Hier einige Zitate, beginnend im Mittelalter:

Thomas von Aquin (1225 – 1274), einer der bedeutendsten katholischen Kirchenlehrer, sagte: „Die Seele des Tieres ist nicht teilhaftig eines ewigen Seins …“ Und René Descartes (1596 – 1650) schrieb: ... Nichts könne „... schwache Geister vom geraden Pfad der Tugend mehr abweichen lassen als die Annahme, die Seele wilder Tiere sei von der gleichen Art wie unsere.“

Ab der Mitte des 17. Jahrhunderts nahm der ethische Stellenwert der Tiere noch weiter ab. Nicht nur der Besitz der Seele wurde ihnen abgesprochen, sondern auch die Leidensfähigkeit. Der französische Philosoph Malebranche (1638 – 1715) sagte: „Tiere fressen ohne Vergnügen, weinen ohne Schmerz, handeln, ohne es zu wissen;- sieh ahnen nichts, fürchten nichts, wissen nichts.“

Vor einer Generation wurde auch in Deutschland noch ernsthaft darüber gestritten, ob Tiere Schmerz empfinden können oder nicht. Vieles von dem, was heute zweifelsfrei als gefangenschaftsbedingte Stereotypen angesehen wird, wollte beispielsweise die Pelzindustrie als „Anpassungsverhalten“ deklarieren.

Hunde können Schmerz empfinden, das ist inzwischen gesichert. Aber sie verbergen ihn oft. Man vermutet dahinter ein evolutionsbedingtes, rudimentäres Verhalten, durch welches Caniden sich den Verbleib in der Gemeinschaft sichern wollen. Indizien für Schmerz sind: Erweiterte Pupillen, Rückzug und ungewöhnlich langes Ruhen, Zusammenkauern, oder auch das Gegenteil: Unruhe, Zittern, Hecheln, Lautäußerungen wie Winseln, Kläffen, Belecken bis zum Benagen schmerzhafter Körperteile und natürlich wie beim Menschen: erhöhte Temperatur. Auch Aggressions-Attacken können auftreten.

Zurück zur „Seele“ des Hundes: Nach Descartes wurden Tiere eher mit gefühllosen Maschinen als mit intelligenten, gefühlvollen Lebewesen verglichen. Erst mit dem Aufkommen des Darwinismus verlor Descartes Weltbild zusehends an Bedeutung.

Charles Darwin (1809 – 1882) überzeugte mit seinen Vorstellungen der Evolution und leitete damit ein epochales Umdenken ein. Er schrieb:

Sinne und Intuition, die vielfältigen Emotionen und Fähigkeiten der Liebe, Erinnerung, Aufmerksamkeit, Neugier, Nachahmung, logisches Denken usw., die den Menschen auszeichnen, sind in Ansätzen oder sogar voll ausgebildet auch in niederen Tieren zu finden.“

Heute zeigen wissenschaftliche Erkenntnisse, dass das Gehirn ebenso wie das Nervensystem des Hundes dem des Menschen verblüffend ähnlich ist. Gestalt und Volumenproportion des Großhirns, die einzelnen Gehirnteile zeigen den gleichen Aufbau. Dasselbe gilt für die Neuronen und deren Funktionsweise. Und auch beim Hund sind bestimmte Arbeitszentren an bestimmten Orten des Großhirns lokalisiert.

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Charles Darwin (1809 – 1882)

Nachdem das Genom des Menschen (Genom = gesamtes Erbgut eines Lebewesens) innerhalb eines internationalen Mammutprojektes (Human Genome Project ab 1990) 2003 als offizielle entschlüsselt galt, wurden auch das Erbgut verschiedener Tierarten untersucht und mit der DNA des Menschen verglichen (DNA = engl. desoxyribonucleic acid, identisch mit deutschem Begriff DNS = Desoxyribonukleinsäure). Die Angaben der DNA-Übereinstimmungen zwischen Mensch und Hund sind leider nicht einheitlich. Ganz abgesehen von den zu Unterschieden, die sich auf Grund unterschiedlicher Hunderassen ergeben. Bei Menschen liegt die Übereinstimmung der DNS-Basispaarketten bei 99,9%. Die erst junge Erforschung des Genoms verschiedener Hunderassen zeigte, dass der Hund zirka 19.300 Gene aufweist (Mensch: Zwischen 20.000 und 30.000 Gene). Auffallend ist, dass der Großteil des untersuchten Hunde-Genoms Entsprechungen zum menschlichen Erbgut aufweist. Einige Autoren sprechen in Bezug auf Pudel und Menschen von 75 % Übereinstimmung der genetischen Verwandtschaft (DNS-Basispaarketten), andere von 80 %. Mäuse weisen zirka 85 % Übereinstimmung auf, Pferde noch mehr. Die größte DNS-Übereinstimmung zum Genom des Menschen wurde bei Schimpansen (96% bis 98%) und bei Schweinen (über 90%) ermittelt. Interessant ist, dass Mensch und Hund vor rund 100 Millionen Jahren Vorfahren mit identischem Genom hatten.

Neuere Untersuchungstechniken, angewandt an der Tierärztlichen Hochschule Hannover in Zusammenarbeit mit der HZI-Gruppe und dem Broad-Institut-USA ermöglichten, DNA-Fragmente in voller Länge zu vergleichen. Der Aufwand hat sich gelohnt. Hierzu Helmut Blöcker, der Leiter dieses Projektes: „Vergleicht man das Pferdegenom mit dem des Menschen direkt von Chromosom zu Chromosom, so gibt es in etwa der Hälfte der Fälle sehr starke Übereinstimmung. Beim Vergleich Mensch zu Hund liegt dieser Wert nur bei etwa 30 Prozent.“

Nach diesem kurzen Ausflung in die aktuelle Forschung der Genomik zurück zu Darwin:

Darwins Entdeckung der Evolution blieb nicht unangefochten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts verbreitete sich unter dem Begriff des Behaviorismus (engl. behavior = Verhalten) eine Psychologie-Richtung, in welcher Bewusstsein, Denken und Gefühle für die Betrachtungsweise des Verhaltens als nicht beweisbar und daher als wissenschaftlich nicht relevant angesehen wurde. Aber auch der Behaviorismus fand seine Herausforderer. Im nachfolgenden Kognitivismus ging die Strömung wieder genau in jene Richtung, die vom Behaviorismus abgelehnt und gemieden wurde.

Heute können wir sagen: Immer mehr Studien zeigen, dass Hunde ihre Umwelt bewusst wahrnehmen, zahlreiche Handlungen intellektuell gestützt durchführen und ein intensives Gefühlsleben aufweisen.

Hunde sind uns ähnlich – und anders!

Das Weltbild des Beseelten

Oft werden Hunde mit Kindern verglichen. Der Gedanke scheint nicht abwegig, haben doch beide vieles gemeinsam. Vor allem das Weltbild des Kindes stützt diesen Vergleich. Kinder nehmen die aus der Sicht des Erwachsenen tote Materie ihres Umfeldes als beseelt an. Bei Hunden ist das ähnlich. Wenn sie beispielsweise mit Gegenständen konfrontiert werden, zeigen sie Handlungen, die vermuten lassen, dass für sie die Gegenstände tatsächlich lebend sind. Neue, unbekannte Gegenstände werden dann oft als gefährliche Lebewesen interpretiert, die ihnen ans Leder gehen könnten.

Der Schweizer Entwicklungspsychologe und Pädagoge Jean Piaget (1896 – 1980) erwähnt als Beispiel ein Kind, welches den Ball, der ihm unter den Schrank gerollt ist, inbrünstig bittet, wieder zurückzukommen oder er beschreibt ein anderes Kind, welches die Tasse, die umgestoßen wurde, bedauert und für krank hält. Es ist vor allem die Phase bis zum Schuleintrittsalter, in welchem Kinder – ähnlich wie Hunde – vornehmlich im Weltbild der Emotionen leben. Wenngleich Piagets Erklärungen zum sich wandelnden Realitätsverständnis des Kindes in vieler Hinsicht erweitert wurden, so sind sie dennoch als Kontrast-Beispiele geeignet, um auf den Unterschied des Kindweltbildes zur Sichtweise des Erwachsenen, der streng zwischen Materie und Lebewesen unterscheidet, hinzuweisen.

Je mehr unsere Kenntnisse über den Hund zunehmen, desto deutlicher wird, dass Hunde außerordentlich intelligent sind und dass sie ganz ähnliche Gefühle haben wie wir Menschen: Antipathie, Sympathie, Empathie (Mitgefühl), Zorn, Neid, Glück und Unglück, Stress, Frustration, Ausgeglichenheit und viele andere. Das ist nicht nur durch Gehirn-Scans nachweisbar, sondern zeigt sich im gesamten Ausdrucksverhalten: Lautäußerungen, Körper-Haltungen und -Bewegungen, Fang-, Lefzen-, Zungen- und Augen-Ausdruck, Ohrstellungen, Fell, Ruten-Haltung und -Bewegung sowie anderen Ausdruckskriterien.

Trotz dieser zahlreichen Parallelen, teils sogar Übereinstimmungen, ist der Hund dennoch ein anderes Wesen! Er ist wie seine Vorfahren ein Beutegreifer. Der Hund bringt sein vom Wolf stammendes Erbgut mit und ist für zahlreiche Lernvorgänge vorprogrammiert, die eben für einen Hund und nicht für den Menschen wichtig sind. Das, was wir als Intelligenz bezeichnen, hängt von den biologischen Koordinaten und der artspezifischen Erfahrungswelt ab. Der Hund hat ein deutlich anderes Weltbild als der Mensch – er lebt, was wir oft übersehen (!), in einer völlig anderen Reaktionsgeschwindigkeit und in anderem Handlungstempo, und er nimmt die Welt anders wahr als wir – mit anderen Sinnen! Probleme sind vorprogrammiert, wenn man diese Unterschiede verharmlost oder ignoriert.

Wenn wir mit dem Hund in einer für beide Teile gewinnbringenden Art und Weise umgehen wollen, kommen wir nicht umhin, uns in seine Welt zu versetzen, uns in ihn hineinzufühlen, aus seiner Sicht- und Erwartungsperspektive zu denken und sein Verständigungsvokabular zu erlernen.

Die Einsicht, dass der Hund in vielem anders ist als wir, entfernt uns nicht von ihm. Sie bringt uns vielmehr näher. Das sei vor allem an jene gerichtet, die den Hund permanent vermenschlichen und Fürsorge, Liebe, Autoritäts- und Regelanspruch einfach nicht in Einklang zu bringen vermögen – oder dies mangels Einsicht von vornherein nicht wollen.

Hält man sich vor Augen, dass es letztlich die spezifischen Sinneswahrnehmungen sind, die einen Großteil dessen ausmachen, wie wir unsere Umwelt wahrnehmen, so wird verständlich, dass uns die Sinneswelt des Hundes gut bekannt sein sollte. Auch der Mensch nimmt seine Umwelt zuerst einmal sinnlich wahr. Auffallend ist, dass man sich als Erwachsener in der Regel nicht mehr an Erlebnisse der frühen Kindheit erinnert (kindliche Amnesie). Als Ursache hierfür wird der Spracherwerb gesehen. Denn mit dem Spracherwerb ändert sich die Form der Erinnerung, die mehr und mehr Worte und Begriffe einbezieht. Infolge dieser Veränderung verliert sich zusehends die Fähigkeit, die in der frühen Erfahrungswelt gemachten Erfahrungen mit den neuen Erinnerungsfunktionen abzurufen. Je anspruchsvoller das Denken wird, desto mehr löst es sich von der reinen Sinnes-Wahrnehmung und -Erinnerung. An Stelle von Bildern treten dann gedanklich in Worte gefasste Zusammenhänge, Schlussfolgerungen oder Hypothesen.

Erinnern, Denken und Entscheiden wird wesentlich davon beeinflusst, wie viele und welche Details uns unsere Sinne vermitteln. Das gilt für den Menschen wie für den Hund. Hier eine kurzgefasste Gegenüberstellung der Wahrnehmungsunterschiede des Menschen und des Hundes:

Kein Wunder, dass das gegenseitige Kraulen und Beknabbern der Haut zum sogenannten Komfortverhalten von Hunden gehört, also einem Verhalten, das ein Ausdruck von Wohlbefinden ist.

Tastsinn

Bedingt durch die Fellhaare verfügt der Hund über eine ausgesprochen sensible Berührungswahrnehmung. Eine Berührung wird, bevor die Haut den Druck wahrnimmt, durch die längeren Deckhaare wahrgenommen. Je mehr Haare melden, desto größer die Berührungsfläche und je stärker die Berührung, desto intensiver die Ankündigung. Stärkerer Druck wird dann auf der Haut direkt gespürt, indem die tiefer liegenden Tast-Rezeptoren (Tastreiz-Aufnahme-Zellen) angesprochen werden. Der stark ausgeprägte Tastsinn des Hundes findet seinen Ausdruck in zahlreichen Ausprägungen: Im Beknabbern, Ablecken, Andrücken. In Verhaltensweisen, die Wohlbefinden (Komfortverhalten, Grooming) bekunden.

Der Hund verfügt noch über ein zusätzliches Tast-System, welches aus einzelnen, langen, festen und wesentlich dickeren Haaren besteht, den Vibrissen. Barthaare und Wimpern dienen der taktilen Frühortung (Spüren durch Berührung) und den Schutzreflexen.

Hunde können die Vibrissen auch bewegen. Je nach Situation werden sie auf mögliche Gefahrenobjekte ausgerichtet, etwa beim Laufen nach vorne oder nach unten: beim Aufnehmen eines Gegenstandes auf hartem Untergrund. Allein schon die Mikroturbulenz (kleinräumiger thermischer Wirbel), die bei der Annäherung eines Gegenstandes auftritt, reicht aus, um dem Hund die unmittelbare Nähe eines Objektes anzukündigen.

Die meisten Tastrezeptoren befinden sich im Gesicht. Nase und Lefzen sind besonders berührungssensibel. Auch an den empfindlichen Pfoten befinden sich zahlreiche Tast-Rezeptoren, um dem Hund zu signalisieren, auf welchem Untergrund er sich bewegt und ob dieser etwa nachgibt und dabei Geräusche verursacht, die den Jagderfolg beeinflussen könnten.

Auch der Mensch verfügt über einen ausgeprägten Tastsinn. Nicht nur die Geschicklichkeit der Hände ist in der gesamten Natur unerreicht. Neben Druck, Spannung und Temperatur kann der Mensch mit den Fingern Dickenunterschiede im Bereich von von 1/50 bis zu 1/100 mm spüren! Was die Wimpern betrifft: Auch dem Menschen stehen Wimpern im Sinne der reflexgesteuerten Schutzreaktion zur Verfügung. Für die Barthaare gilt dies jedoch nicht mehr.

Berührungen spielen beim Aufbau, Ausbau und Erhalt sozialer Bindungen zu anderen Hunden und zum Menschen eine wichtige Rolle. Es ist nachgewiesen, dass Hunde durch Berührung beruhigt werden können. Der Puls wird messbar langsamer, der Atem gleichmäßiger und vorausgegangene Muskelspannungen können gelöst werden. Hinzu kommt: Berührung trägt bei Kälte durch enges Beieinanderliegen zur Wärmeökonomie bei. Allein diese kurze Faktenaufstellung legt nahe, dass wir Menschen, vor allem jene aus den Zivilisationsregionen, oft zu wenig auf taktiler Ebene mit Hunden kommunizieren.

Thermoregulation

Die Haut ist bei Mensch und Hund das flächenmäßig größte Sinnesorgan. In ihm befinden sich die Rezeptoren für Wärme, Kälte, Druck, Berührung und Schmerz. Thermoregulation wird durch Wärme- und Kälterezeptoren, die ihre Informationen an das Gehirn weiterleiten, erreicht. Menschen und Hunde besitzen weit mehr Kälterezeptoren als Wärmerezeptoren. Beim Mensch wurden pro cm² durchschnittlich zwei Wärmepunkte und 13 Kältepunkte gemessen. Die Punkte sind unterschiedlich verteilt (Schubert 1977, S. 221). Im Gesicht beispielsweise befinden sich 50% sämtlicher Kältepunkte , auf der Zunge 16 – 19 pro cm² , in den Fingern nur drei. In manchen Regionen fehlen sie ganz. Wärmerezeptoren leiten Reize in einem Bereich zwischen 10 bis 40 Grad Celsius weiter, Kälterezeptoren zwischen ein bis minus 20 Grad. Extreme Wärme- oder Kälteeinwirkungen werden über Schmerzrezeptoren wahrgenommen.

Die Kälte- und Wärmerezeptoren des Hundes sind noch wenig erforscht, ebenso deren Verteilung. Man nimmt jedoch an, dass auch bei Hunden die Kälterezeptoren anzahlsmäßig bei weitem überwiegen und dass sich die meisten Rezeptoren im Nasenbereich befinden.

Da alle Säugetiere und Vogelartigen darauf angewiesen sind, ihre Körpertemperatur (Kerntemperatur) innerhalb bestimmter Grenzen zu erhalten (homöotherm), bedarf es bei Änderungen der Umgebungstemperatur bestimmter Anpassungsprozesse, die im Begriff Thermoregulation zusammengefasst sind. Werden die Grenzwerte deutlich über- oder unterschritten, geraten die Stoffwechselprozesse aus dem Gleichgewicht oder es kommt zur Beeinträchtigung der Organe oder des Gehirns, die bis zum Tode führen kann. Bei extremer Hitze beispielsweise kann es zu Schädigung des zentralen Nervensystems kommen (Hitzschlag).

Die Thermoregulation wird beim Menschen über mehrere Regulative erreicht. Gegen Kälte: Durch Muskeltätigkeit kann im Körper willkürlich (Bewegung) oder unwillkürlich (Zittern) Wärme erzeugt werden. Hinzu kommen die Regulative, Fett zu verbrennen, die Durchblutung von außen (Haut) nach innen auf die empfindlichen Organe und das Gehirn zu verlagern (Vasokonstriktion). Bei Wärmeeinwirkung laufen die Prozesse in entgegengesetzte Richtung: Die Temperatur wird von innen (Gehirn, Organe) nach außen (Haut) geleitet, indem die Gefäße an der Peripherie geweitet werden, um möglichst viel Blut aufzunehmen (Vasodilatation). Hinzu kommt das Schwitzen (Evaporation), welches auf Grund des Verdunstungsvorganges Kälte erzeugt.

Als letztes Regulativ ist das Verhalten zu nennen, welches bei allen Lebewesen entscheidend zur Thermoregulation beiträgt. Tiere suchen Schatten, kühlendes Wasser oder Wärme auf, Menschen bauen Häuser und installieren Heizungen oder Klimaanlagen. Ohne zusätzliche Ausgleichsvorgänge über Kleidung, Raumgestaltung und Heizung bzw Kühlung wäre der Mensch nicht in der Lage, vor allem extreme Kälte auszgleichen.

Die Kerntemperatur (auch Körpertemeratur) des Menschen (Temperatur im Innern) wird zwischen 36,3˚C und 37,4˚C, beim Hund zwischen38,0˚C bis 38,5˚C, bei größeren Rassen bis zu 39,0˚C und bei kleinen Rassen und Welpen bis 39,5˚C angegeben.

Auch Hunde verfügen über mehrere Systeme der Thermoregulation. Zur Erhaltung der Körpertemparatur wird die Haut mehr oder minder durchblutet – ähnlich wie beim Menschen. Der Hund verfügt jedoch noch über das Fell, welches eine breitere Regulation gegen Kälte und Hitze erlaubt. Durch entspechende Stellung der Fellhaare entsteht eine mehr oder minder dicke Fell-Luft-Schicht, die den Isolationswert erheblich zu verändern vermag.

Ein “dickes Fell” funktioniert nach demselben Prinzip wie Daunenfedern und schützt gegen Kälte (siehe auch Vogelartige: Aufplustern des Gefieders). Ein weiteres Regulativ zur Thermoregulation steht Hunden in Form von thermischen Fenstern zur Verfügung. Das sind jene Fellregionen, die schwach und dünner behaart sind und sich am Bruskorb, im Lendenbereich und zwischen den Vorderbeinen befinden. Durch entsprechende Körperhaltungen werden diese Fenster mehr oder weniger geschlossen oder geöffnet. Das Schließen thermischer Fenster (z.B. eingerolltes Liegen), in Verbindung mit Kontaktliegen trägt wesentlich dazu bei, dass Caniden (Wolfs- und Hundeartige) zum Teil extreme Kälte ertragen.

Bei überschüssiger Wärme steht Hunden neben den bereits erwähnten Regulativen noch das Hecheln zur Verfügung. Durch schnelles Einatmen über die Nase und Ausatmen über den Fang verdunstet Nasensekret, das im Nasenraum in großer Menge vorhanden ist. Dabei entsteht Verdunstungskälte. Der Vorteil dieser Funktion liegt darin, dass im Gegensatz zum Schwitzen kein Salz entzogen wird. Die Effektivität des Hechelns erklärt sich durch die riesige Fläche der Schleimhaut, die sich faltenartig im Nasen-Rachenraum des Hundes ausbreitet, zahlreiche Arterien und Venen enthält und größer ist als die gesamte Körperoberfläche. Durch den Verdunstungsprozess werden vor allem die Arterien und Venen gekühlt, um das empfindliche Gehirn gegen Überhitzung zu schützen.

Die Oberflächentemperaturmessung am Schlittenhund ergab bei einer Außentemperatur von 30˚C an der Schnauze 5˚C, auf der Nase 7,5˚C und an den Pfoten 0˚C, an den Schultern hingegen 37˚C und an der Außenseite der Oberschenkel 33˚C. Daran lassen sich sowohl die verschiedenen Kühlsysteme als auch die Verteilung der Wärme- und Kälterezeptoren näherungsweise ablesen. Die Unterschiede beim Menschen sind deutlich geringer. Bei einer Umgebungstemperatur von 20˚C misst man bei ruhig liegendem Menschen eine Schalentemperatur (Haut und darunter liegenden Schicht) an den Schultern von zirka 35˚C, an den Oberarmen 32˚C, an den Unterarmen 28˚C an den Oberschenkeln 34˚C und unterhalb vom Knie 31˚C.

Die Befeuchtung der Pfoten erzeugt infolge der dort stattfindenden Verdunstungskälte lediglich eine lolale Abkühlung und dient nicht der Thermoregulation des gesamten Körpers. Der Begriff Schwitzen ist daher irreführend. Die lokale Abkühlung der Pfoten könnte dazu dienen, den Temperaturunterschied zwischen kaltem Untergrund (Schnee) und Pfoten zu reduzieren, als Beitrag zur Kompensation des ständigen Kontakts mit kaltem Untergrund. Naheliegend ist darüber hinaus die Vermutung, dass das Duftsekret, welches zwischen den Zehen erzeugt wird, mit Feuchtigkeit vermischt wird, damit die Trittmarken am Boden besser haften und länger wirken und daher von Artgenossen besser wahrgenommen werden. Weitere Funktionen der Pfotenbefeuchtung könnten darin liegen, den Pfoten mehr Halt zu verleihen, gegen Ausrutschen zu sichern und die Haut durch Befeuchtung vor Rissen zu bewahren.

Sehvermögen

Das Sehvermögen der Wölfe und ihrer Nachfahren, der Hunde, hat sich im Laufe der Evolution den arteigenen Überlebensmöglichkeiten angepasst. Wölfe und Hunden sehen unterschiedlich und auch die rassebedingten Unterschiede sind zu berücksichtigen. Auch die Unterschiede zum Sehvermögen des Menschen sind beträchtlich. Hunde haben auf Grund der Augenanordnung ein weiteres Sehfeld als der Mensch. Hunde sehen ca 250 Grad, Menschen zirka 180 Grad (Sherman und Wilson 1975). Menschen sehen im Bereich von zirka 120 Grad dreidimensional, Hunde hingegen nur innerhalb maximal 90 Grad. Hunde sind nachtaktiv. Sie sehen in der Dämmerung daher wesentlich besser als der Mensch. Nur ein geringer Prozentsatz ihrer Fotorezeptoren besteht aus den für Farbwahrnehmung verantwortlichen Zapfen, der weit überwiegende Teil der Rezeptoren sind Stäbchen, die das Hell-Dunkel-Sehen ermöglichen. Hunde können sich sogar noch bei extrem wenig Licht gut bis sehr gut zurechtfinden. Diese Fähigkeit haben Menschen degenerativ verloren.

Farbsehen: Lange hat man geglaubt, Hunde könnten keine Farben sehen. Neitz, Geist und Jakobs konfrontierten eine Versuchsgruppe von Hunden wochenlang mit Fleisch- und Käsestücken, wobei jeweils zwei Futterstücke in der gleichen Farbe beleuchtet waren, das dritte jedoch in einer anderen Farbe. Hinter dem andersfarbig beleuchteten Futterstück war ein Fress-Jackpot versteckt, – in geruchsabgeschirmter Box verstaut. Die Forscher konnten auf diese Weise herausfinden, dass und wie Hunde Farben wahrnehmen. Die Studie zeigte: Hunde sehen Farben, aber anders als Menschen. Da Menschen nicht wie Hunde über zwei (Dichromaten) , sondern über drei (Trichromaten) unterschiedliche Zapfentypen verfügen, können Menschen auch die höherfrequenten Rottöne wahrnehmen. Hunde hingegen sehen Farben wie rotgrün-farbenblinde Menschen: Weil ihr Spektralbereich nicht bis ins Rot reicht, können sie diese Farbe im Gehirn nicht in der realen Wellenlänge abbilden. Sie sehen rote Objekte gelb und grüne Objekte farblos. Wie in der unten stehenden Grafik zu sehen ist, reicht der Spektralbereich der Hunde von Gelb über Grün bis Blau und Violett, und zwar im Bereich von zirka 600 nm bis zu zirka 350 nm (Nanometer = Wellenlänge). Bei Menschen reicht die Farbwahrnehmung in Richtung Infrarot bis zu einer Wellenlänge von etwa 760 nm (und darüber), in Richtung Ultraviolet bis zu etwa 380 nm.

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Während das menschliche Auge (oben) im gelb-grünen Bereich am empfindlichsten ist, können Hunde im grün-blauen Bereich am besten differenzieren. Hunde sehen rot als gelb (vereinfacht ausgedrückt).

Noch mehr als das unterschiedliche Spektrum der Wellenlänge wirkt sich der Bereich des Sensibilitätsmaximums aus. Die höchste Farbwahrnehmungssensibilität der Hunde liegt bei zirka 430 nm, das entspricht violett. Das menschliche Augen hingegen ist im gelb-grünen Bereich (zirka 555 nm) am empfindlichsten. Dort, wo in der Grafik 01 der Farbbalken die höchste vertikale Ausdehnung hat, sehen Hunde und Menschen Farben am deutlichsten. Auch beim Menschen sind die links und rechts vom Maximalwert liegenden Farbtöne besonders gut wahrnehmbar; Gelb- und Rottöne sowie Grüntöne. Hunde hingegen können Farbunterschiede bevorzugt im Bereich violett und den Blautönen differenzieren, was sich aus den jagdbedingten Erfordernissen in der Dämmerung, bei Nacht und innerhalb der vielen Blau-, und Dunkelblau- und Violetttöne im Wald, als Schatten und auf nächtlichen Wiesen- und Wasserflächen erklärt.

Nachtsehen, Sehschärfe und Bewegungssehen: Die Pupillen des Hundes erlauben wesentlich weitere Öffnungen, was mit der offenen Blende einer Kamera zu vergleichen ist. Je mehr Licht durch die Öffnung eintreten kann, desto besser sieht der Hund selbst bei schwachen Lichtverhältnissen. Hinzu kommt, Hunde besitzen mehr von jenen Rezeptoren, die für das Hell-Dunkel-Sehen verantwortlich sind: Stäbchen genannt. Eine weitere sehr effektive Funktion im Auge des Hundes ist die Fähigkeit, eintreffendes Licht zu reflektieren, was eine bessere Nutzung der eintreffenden Reize bewirkt und letztlich Nachtsehen ermöglicht. Die Reflektion kann man in der Nacht daran erkennen, dass die Augen des Hundes gelb oder grün aufleuchten, wenn sie angestrahlt werden.

Die Sehschärfe ist beim Menschen zirka sechs Mal besser ausgebildet als beim Hund. Der Hund hingegen kann in der Nacht nahezu gleich gut sehen wie am Tag, und er kann kleinste Bewegungsänderungen selbst auf weite Entfernung wahrnehmen. Hunde können bewegte Objekte noch aus 900 m sehen. Dieselben Objekte wurden, wenn sie sich nicht bewegten, von Hunden in rund 580 m nicht mehr erkannt (Studie an Polizeihunden 1936). Nicht bewege Objekte können Hunde tatsächlich nur unscharf wahrnehmen. Das hat weitreichende Konsequenzen. Ruft man den Hund aus einiger Entfernung ab, indem man ruhig stehen bleibt, kann es vorkommen, dass einen der Hund nicht oder nur sehr ungenau wahrnehmen kann. Ein Schritt zur Seite oder das Heben des Arms schafft hier wirkungsvolle Abhilfe. Das Erstarren der Beutetiere bei vermuteter Gefahr erklärt sich ebenfalls, zumindest teilweise, aus dem eingeschränktem Scharfsehen der Beutegreifer. Bewegungsvermeidung (Erstarren) bedeutet Tarnung.

Auch die Sehfrequenz liegt bei Hunden höher als bei Menschen. Menschen können unterhalb einer Bildfrequenz von 60 Bildern pro Sekunde einzelne Bilder unterscheiden. Ab 60 Bilder pro Sekunde wird die Bildfolge als fließende Bewegung erlebt. Hunde können zirka 70 bis 80 Bilder pro Sekunde wahrnehmen.

Dar Farbspektrum hat in vielerlei Hinsicht Einfluss. Lange war Hundespielzeug aus Naturkautschuk in rotWeiß